Kirsche
„ACH PAUL“
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Der Winter in Großmutters Garten hat sich als grau und nass in meinem Gedächtnis erhalten.
Da, wo im Frühsommer die Erdbeeren gewachsen sind, im Sommer die Erbsen und im Herbst die Chrysanthemen – dort ist braune, nasse, schwere Erde, die an den Schuhen klebt.
Der Kirschbaum ist vom Wohnzimmer aus zu sehen – nackt und grauschwarz.
Mein Großvater sitzt tagein tagaus in seinem großen Ohrensessel und liest. Oder er erzählt Geschichten. Ich sitze auf dem Boden und höre zu. Wie er von den Panzern erzählt, die über den Schützengraben gerollt sind, wie er Menschen erschossen hat. Ich erfahre, dass Russen schmutzige hinterhältige Menschen sind mit schweren Filzmänteln, unzivilisiert und böse. Später erfahre ich, dass mein Großvater wohl nie in Russland war.
Und er erzählte vom Krieg in Holland, wo er am Strand der Nordsee mit den schönen Holländerinnen flirtete und akrobatische Kunststücke mit seinen Kameraden vollführte. Er hatte wohl viel Spaß in diesem Sommer am Strand.
In welchem Krieg war er?
Meine Großmutter hörte die Geschichten auch. Und manchmal sah ich, wie sich ihre Augenbrauen kritisch und etwas ärgerlich zusammenzogen. Dachte sie, dass das zu gruselige Geschichten für ein Kind waren? Oder dachte sie, dass er nun wieder anfing in seiner Phantasiewelt zu leben?
In ihrer Art zu kritisieren sagte sie dann mit einem kleinen Vorwurf in der Stimme: „Ach Paul“.
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